Als es endlich losging und die sehr kurze Eröffnungszeremonie am Ende kleine Fußbälle als Luftballons in den Himmel schickte, waren im Publikum gefühlte 20 Prozent lesbische Fans. Bei offiziell 73 680 Zuschauern und Zuschauerinnen wären das genau 14736 Lesben. Keine utopische Zahl, angesichts von mindestens 10 Prozent in Berlin lebenden Homosexuellen und vielen extra angereisten Fans. Auch etliche schwule Männer kamen zur Unterstützung mit zum Spiel.
Einmal kurz innegehalten, die Augen geschlossen und geträumt, dass alle Lesben im Stadion eine Regenbogenfahne in der Hand hielten. Lesbische Kanadierinnen dürften natürlich auch mitmachen und ein Hauch von Gay Games (internationales schwullesbisches Sportevent) läge in der Luft. Was für ein Fernsehbild, was für eine Demonstration! Niemand könnte mehr leugnen, dass Frauenfußball unter Lesben besonders beliebt ist. Das Nicht-Erwähnen, das Verstecken, um das Image des „neuen Frauensports“ Fußball nicht zu beflecken, hätte ein Ende. Schön geträumt. Offene Augen sehen im Stadion viel Schwarz-Rot-Gold, ein paar kanadische Fahnen und wenig sonstige Transparente.
Statt verstecken: werben um die lesbischen Fans!
Lesben finden auch im Rahmen der FIFA-Kampagne zur WM nicht statt. Frauenfußball soll ein für alle Mal vom Lesbenstempel und vom Image der Mannweiber befreit werden. War Fußball früher nichts für Frauen (und deshalb was für Lesben), sollen Spielerinnen heute besonders weiblich sein (und Lesben sich aus dem „normalen Frauensport“ raushalten). Heterosexuelle Girlies aller Länder seid willkommen! Und gebt euch bitte patriotisch, das gehört sich für eine WM. Da stört ein Regenbogentraum.
In jeder anderen Branche würde man neue Zielgruppen erschließen und gleichzeitig treue Stammkundinnen pflegen. Übersetzt auf die FIFA hieße das lesbische Fanschals, lesbische Idole, lesbische Fanclubs. Deutschland 2011 sieht anders aus: lesbische Frauen sind als Zielgruppe nicht existent, obwohl der Frauenfußball ihnen als Spielerinnen, Fans und Trainerinnen viel zu verdanken hat. Ein Werbeplakat, das lesbische Fans explizit willkommen heißt? Undenkbar!
Keine Angst vor den Lesben, es geht auch gemeinsam!
Dabei funktioniert das Miteinander im Bundesligaalltag gut. Lesben, ältere Männer und Familien sehen sich gemeinsam Spiele an und jubeln lesbischen wie heterosexuellen Spielerinnen zu. Transparente gegen Homophobie im Stadion gibt es kaum. Es braucht sie auch nicht. Der typischerweise männliche, grölende Fußballfan lässt sich dort nicht blicken. Auch zur WM-Eröffnung war die Atmosphäre vor und nach dem Spiel nicht mit einem Männerspiel zu vergleichen. Vor dem Olympiastadion herrschte eine entspannt-friedliche Stimmung. Statt Regenbogenfahnen sah man zwar viele Deutschlandflaggen, schwarz-rot-goldene Hüte und andere Accessoires. Was es aber nicht gab, war die latent aggressive Stimmung eines Männerspiels. Die raumgreifenden Gruppen junger Männer. Die Blicke und Gesten, die zusammen eine homofeindliche Atmosphäre ergeben.
Und ein bisschen Traum wurde auch noch wahr. Als sich nach dem Spiel alle in die überfüllte S-Bahn quetschten, passierte eine Frau mit Regenbogenfahne die Bahn. „Aber das ist die falsche Fahne“ wunderte sich ein heterosexuelles Paar, das schon im Wagen war. Die daneben stehende Lesbe konterte sofort: „Das ist die vollkommen richtige Fahne.“